Vorstellung: Anna T. Szabó

Poet, writer, translator. She was born in Transylvania (Romania) in 1972, moved to Hungary in 1987, studied English and Hungarian literature at the University of Budapest, and received her PhD in 2007. She has published nine volumes of poetry for adults and seven for children, written ten plays, and has received several literary prizes. She has translated many poems and lyrics, essays, novels, drama, radio plays and librettos, occasionally writes essays, articles and reviews, and took part in the popular literary competition series in television (Nyugat, Szósz, Lyukasóra). She also performs poetry together with several jazz and classical musicians, while working as a freelance writer and translator. She lives near Budapest with her husband the novelist György Dragomán and their two sons.

„Verläßt mich”

Sie verrät und verläßt mich.
Sie stößt mich aus und verläßt mich.
Nährt mich aus sich und verläßt mich.
Wiegt mich, verläßt mich.
Streichelt mir die Sohlen, putzt mir den Po,
kämmt mir das Haar und verläßt mich.
Ich trink’ ihren Duft, sie drückt mich an sich:
„Ich verlasse dich nie” und verläßt mich.
Sie heuchelt, lächelt: „Hab keine Angst!”
Ich friere, hab Angst – sie verläßt mich.
Sie legt sich abends zu mir auf das Bett,
dann schleicht sie davon und verläßt mich.
Groß ist sie, warm, mein lebendiges Nest,
sie küßt mich summend, verläßt mich.
Sie füllt mir die Hände mit Zuckerwerk,
hier, nimm und iß – und verläßt mich.
Ich heule und tobe, drück sie an mich,
halte, haue und doch: sie verläßt mich.
Sie verschließt die Tür und blickt nicht zurück,
ich bin ein Nichts, wenn sie mich verläßt.
Ich warte auf sie wie ein zitterndes Tier,
sie kommt, umhalst und verläßt mich.
Ich will sie, das Leben ist Tod ohne sie,
sie hebt und wärmt und verläßt mich.
Ihr Arm ist schwer, doch ihr Schoß ist mein Haus,
ich will nur sie – sie verläßt mich.
Eins muß ich lernen, ich bin nicht sie,
fremd ist sie, fremd, und verläßt mich.

Weit ist die Welt, du wirst schon erwartet.
Du findest schon eine, die du verläßt.
Schließe die Tür und blick nicht zurück:
warten ist leichter, fahren ist schwer,
eine verrät dich, eine verwaist,
eine wird warten, eine sich fürchten,
eine geht immer ohne Wiederkehr,
die dich gebiert und stirbt und verläßt dich.

aus dem Ungarischen von György Buda